Eduard Stapel [B'90 / Die Grünen]

Sehr geehrter Herr Heidt,

haben Sie vielen Dank für Ihre "Gretchenfrage"! Ich kann die Initiative nur begrüßen und habe mich als Bürgerrechtler in der DDR (Sie können sich im Internet ganz gut über mich informieren) und als Bündnisgrüner immer für mehr Mitsprache-Rechte der WählerInnen eingesetzt. - Unsere Aktivitäten sowohl in der DDR als auch ab 1990 in der BRD sind in den Texten der Initiative ja ganz gut beschrieben. (Insofern könnte sich die Frage an einen Bündnisgrünen eigentlich erübrigen...)

Allerdings reicht das dort Beschriebene hinsichtlich der Lage nicht aus: Die WählerInnen entscheiden sich seit Jahren mehrheitlich bei den verschiedenen Wahlen immer gegen diejenigen, die mehr Abstimmunsgrechte wollen. So etwas erlebe ich - ebenfalls seit vielen Jahren - nicht nur hinsichtlich des hier in Rede stehenden Themas, sondern auch bei vielen anderen: man wählt mehrheitlich "Schulschließungs-Parteien" und wendet sich dann, wenn die Schulen tatsächlich geschlossen werden, an diejenigen, die mit einem anderen Programm angetreten sind; (als langjähriger Schwulenbewegungs-Funktionär) man (eben auch wohl mehr als die Hälfte der Schwulen) wählt Parteien, die keine Gleichberechtigung von Schwulen wollen, verlangt dann aber u. a. von uns Bündnisgrünen "vollen und erfolgreichen Einsatz" für diese Gleichberechtigung; (gerade in meiner Region aktuell) man wählt mehrheitlich Parteien, die in ihrem Energie-Konzept auch Steinkohle-Kraftwerke haben, und erwartet nun von uns Bündnisgrünen, daß wir den Bau eines solchen Kraftwerkes hier vor Ort verhindern...

Kurzum:

1. Ich habe seit Jahren (nicht in der DDR, weil es dort diese Entscheidungsfreiheit so nicht gab, auch wenn man sehr wohl nicht zur Wahl gehen mußte...) die beschriebenen Abstimmungsergebnisse hinzunehmen und zu respektieren, die sich mehrheitlich gegen das von meiner Partei Vorgeschlagene richten. Daß ich weiterhin auch gegen solche Abstimmungsergebnisse arbeite und mich für mehr Abstimmungsrechte der WählerInnen einsetze, versteht sich womöglich nicht von selbst, sicher aber aus meiner Biographie heraus.

2. Stets und ständig bedauere (auch) ich, wie wenig die BürgerInnen die Beteiligungsmöglichkeiten nutzen, die es ja gibt (Wahlen; Mitarbeit in Parteien; Vereine und Verbände...). Und in all meinen Wahlkämpfen (es mein vierter für den Bundestag - außerdem vier bei Landtagswahlen) und auch sonst (wie gesagt: Bürgerrechtler in der DDR; 30 Jahre Schwulenbewegungs-Funktionär; seit 12 Jahren bündnisgrüner Kreisvorsitzender; seit 10 Jahren Kreistags-Mitglied; seit 5 Jahren Stadtrats-Mitglied; lange Veranstalter von Bildungsveranstaltungen und und und) versuche ich die Leute zur Beteiligung zu überreden. Freilich mit mäßigem Erfolg, wie sich immer wieder zeigt. Um so mehr begrüße ich solche Initiativen wie diese.

3. Gerade als Schwuler oder als (zukünftiger) ELP-Partner eines Schwarz-Afrikaners, aber auch sonst (gerade in meiner Region aktuell: kein Steinkohle-Kraftwerk, aber auch keine Windräder - schließlich kommt der Stom aus der Steckdose, meine viele, allzu viele Leute) wäre viel mehr als über das Ob von "Volksentscheiden" über das Wie und damit über die konkreten Ausgestaltungen solcher Beteiligungsrechte zu reden. Ganz so einfach wie von dieser Initiative vorgeschlagen möchte ich es dann womöglich doch nicht haben...

4. An einer Stelle in den Texten habe ich den 9. November vorgeschlagen gelesen. - Warum denn der 9. November?! Wenn man sich schon auf die DDR-Revolution bezieht, dann doch, bitte, der 9. Oktober, weil an diesem Tage in Leipzig die Entscheidung fiel! - Aber auch darüber ist schon viel debattiert worden, und es hat andere Ergebnisse gezeitigt, als ich sie wollte und will.

Ich ahne, meine Antwort wird sie nicht zufriedenstellen. Mich macht sie auch nicht glücklich. Aber wir haben nun mal die Mehrheiten der WählerInnen zu respektieren - und sollten es dennoch immer wieder versuchen. Ich wäre also dabei, wenn die Sache im Bundestag ansteht, und bin auch sonst dabei, wie oben hoffentlich zu erlesen ist.

Mit freundlichen Grüßen,

Eduard Stapel

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