Offener Brief an die im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen

An die Leitungsgremien der im 16. und in Perspektive auch im 17. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und an ihre Fraktionsleitungen


Sehr geehrte Damen und Herren!

Obwohl es im Alltag des Wahlkampfes bisher noch keine Rolle gespielt hat, könnte in der Schluss­phase für den Wahlausgang entscheiden werden, worauf das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 hinweist, wenn es in dessen Abschnitt 211 heißt: »Das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, ist der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips.« Das Gericht fährt fort: »Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen [Art. 1 Abs. 1 GG] verankert. Er«, der Anspruch, »gehört zu den durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG als unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts.«

1.Daraus geht eindeutig hervor, dass das Abstimmungsrecht des Volkes als »elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips« in seiner normativen Bedeutung nicht hinter dem Wahlrecht und der darauf aufbauenden Organik der parlamentarischen Demokratie rangieren darf, die Bundesrepublik insofern nie eine nur-repräsentativdemokratische Staatsordnung war und ist, sondern eine normativ komplementär-demokratische. Nur sind bisher alle Versuche, diese als uneingeschränkt und unveränderbar geltende Norm durch eine zeitgemäße Ausgestaltung für das Volk, den Souverän, verfügbar zu machen, gescheitert.

2.Entsprechend der jetzt vom Bundesverfassungsgericht erstmals so beleuchteten Sichtweise des Grundgesetzes Art. 20 Abs. 2 [in Verbindung mit GG Art. 1 und Art. 79,3] hat - unter verschiedenen Namen - die jetzt als Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009« handelnde außerparlamentarische politische Bewegung seit 1983/84, 1987/88, 1990, 1992/94, 1998, 2005 und 2008 sich mit zahlreichen Petitionen bemüht, diesen normativen Anspruch durch ein zeitgemäß gestaltetes Verfassungsrecht in Gestalt einer »dreistufigen Volksgesetzgebung« zu regeln. Davon angeregt, haben immerhin vier der im 16. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien mit eigenen Gesetzentwürfen versucht, dem plebiszitären Element unserer komplementär-demokratischen Verfassungsordnung Geltung zu verschaffen. Auch das hatte ein negatives Resultat.

Deshalb richten wir an den 17. Bundestag eine 8. Petition und haben, auf sie bezogen, an alle Mandatsbewerber die entsprechende »Gretchenfrage« gestellt [siehe www.volksgesetzgebung-jetzt.de/die-gretchenfrage]. Der Prozess ist in vollem Gange [www.volksgesetzgebung-jetzt.de/newblog]. Da, wie Sie aus repräsentativen Umfragen wissen, auch die überwiegende Mehrheit der mündigen Bürgerschaft seit langem die zeitgemäße Ausgestaltung des Abstimmungsrechtes des Volkes in der von uns vorgeschlagenen Form will [www.volksgesetzgebung-jetzt.de/petition-09/kriterien], dürfte die Frage, wie Ihre Partei bzw. Ihre Fraktion im 17. Deutschen Bundestag zu dieser Form aufgestellt sein wird, für die Wahlentscheidung vieler Menschen von nicht unwesentlicher, vielleicht sogar ausschlaggebender Bedeutung sein.

4. Deshalb möchten wir Sie im Sinne einer wählerfreundlichen, offenen und transparenten Klärung Ihrer Position zu der durch unsere Petition aufgeworfenen »Gretchenfrage« - der eigentlichen Gewissensfrage unserer demokratischen Grundordnung - bitten, der Öffentlichkeit Ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. Dazu wollen wir in den nächsten Tagen den beigefügten »Offenen Brief« pu­blizieren.

Für Ihre Antwort, die wir gerne mit veröffentlichen würden, danken wir Ihnen bestens.

Mit freundlichen Grüßen
Wilfried Heidt
[Für die Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009«, 16. September 2009]
[gretchenfrage@volksgesetzgebung-jetzt.de]


Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009«

Die »Gretchenfrage« an alle Bewerberinnen und Bewerber um ein Mandat im 17. Deutschen Bundestag

»Offener Brief«
an die leitenden Organe der im 16. Deutschen Bundestag vertretenen Parteien

Betr.: Aktion »Gretchenfrage« zur Bundestagswahl 2009 – Demokratie in Not
und wie die Not noch vor der Wahl und sogar auch noch für die Wahl behoben werden könnte

Sehr geehrte Damen und Herren!

jetzt, zwei Wochen vor der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag, ist, wie alle Wahrnehmungen zeigen können, ein Großteil der Wählerinnen und Wähler sehr unzufrieden damit, wie sich insbesondere auch die Parteien der großen Koalition im Wahlkampf bisher dargestellt haben. Diese Unzufriedenheit hat am Abend des 13. September im sog. »TV-Duell« zwischen der Bundeskanzlerin Merkel und dem Vizekanzler Steinmeier nach allen bisher bekannten öffentlichen Reaktion und Umfragen einen neuen Höhepunkt erreicht. Langeweile – »Yes, we gähn!«, so titelte eine Tageszeitung am Tag danach. Nicht nur die Umfragewerte sind für manche Partei weit unter ihren Hoffnungen, auch das Interesse, sich überhaupt an der Wahl zu beteiligen, ist von Jahr zu Jahr geschwunden.

1. Wir selbst wollen uns an all dem Kaffeesatzlesen, Spekulieren und Diskutieren über die Ursachen dieses beklagenswerten Zustandes nicht beteiligen. Und auch nicht Partei ergreifen, wer von den beiden beim »TV-Duell« besser abgeschnitten habe; auch nicht den sog. »TV-Dreikampf« der Oppositionsparteien kommentieren, wie auch immer sie bei ihrem Auftritt bei Zuschauern und Medien »angekommen« sein mögen und ob sie als die kleineren wegen der bisher wenig Begeisterung erweckenden Performance der beiden großen nun in der Schlussphase vor der Wahl Aufwind bekommen werden. Denn die Ursache für die Phänomene des offensichtlich Unbefriedigenden der Situation liegt nicht im medialen Spektakulum, sondern viel tiefer, im Verhältnis der Parteien zu dem einen Element des »elementaren Bestandteils des Demokratieprinzips«, welches auch zu den als »unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts« gehört [Zitat Urteil des BVerfG vom 30. 6. 2009] aber dem »Volk« noch immer vorenthalten wird, vom Parteienstaat verweigert wird.

2. Wir sehen den Grund für dieses beklagenswerte Bild, das die insgesamt für die parlamentarische Demokratie Verantwortlichen, also die Mitglieder der Volksvertretung, abgeben, an jener Stelle, die im Herbst 1989 – unter ganz anderen Systemverhältnissen – ab einem bestimmten Punkt in der damaligen DDR dazu geführt hat, dass die Menschen sich unter der Devise »Wir sind das Volk« vereinigten und schließlich im weiteren Verlauf der dortigen Entwicklungen eine, wie manche es bis heute nennen, »Revolution« zum Erfolg führten, indem sie eine Einparteiherrschaft stürzten. Ob dann aber – unter der anschließenden, nur durch ein einziges Wort veränderten zweiten Devise »Wir sind ein Volk« – die Übernahme der Mehrparteienherrschaft mit freien Wahlen nach dem Muster der Bundesrepublik die zeitgemäße und geschichtslogische Alternative war, kann man einstweilen noch offen lassen, zumal darüber bis heute kein tiefergehender gesellschaftlicher Diskurs in Gang gekommen ist.

3. Doch eines steht fest: Auch wenn »das Volk« in der parlamentarischen Mehrparteiendemokratie mit der Abgabe seiner Stimme mitwirken kann, so bleibt es als der Souverän in der konkreten Gestaltung der Politik, in den Gesetzgebungen, als selbstbestimmtes politisches Subjekt bis zur nächsten Wahl ohne Stimme und Willen, kann seine »Teilhabe an der öffentlichen Gewalt« dort, wo das Grundgesetz es auch vorsieht, nicht wahrnehmen, sondern muss im Stande einer gewissen Vormundschaft ausharren. Deshalb ist es legitim und auch geschichtsbewusst, die Devise »Wir sind das Volk« als noch uneingelösten Impuls von 1989 im Bewusstsein zu halten und in der gegenwärtigen Verfassungswirklichkeit wachzurufen. Deshalb die Aktion »Gretchenfrage« der Petitionsinitiative »Wir sind das Volk-2009«.

4. Mit dieser Initiative wollen wir auch die Aufmerksamkeit auf eine selbst von den berufsmäßigen Beobachtern aus Politik, Medien wie Wissenschaft durchwegs übersehene neue Sicht aus »Karlsruhe« zu diesem Gesichtspunkt lenken. Denn das Bundesverfassungsgericht erinnert im Zusammenhang mit seinem Urteil vom 30. Juni 2009 – unseres Wissens erstmals – mit Bezug auf GG Art. 20 Abs. 2 daran, was der »elementare Bestandteil des Demokratieprinzips« in unserem Staatswesen, seine verfassungsrechtliche Basisnorm ist. Es sagt nämlich, es sei »das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen.« Und das Gericht ergänzt diese Feststellung mit dem Hinweis, »der Anspruch auf diese freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt« sei bereits »in der Würde des Menschen [Art. 1 Abs. 1 GG] verankert« und zähle nach Art. 79 Abs. 3 GG zu den als »unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts.« [a.a.O. Abschnitt 211]. Das trifft den Kern der Sache.

5. Nun: Wenn das stimmt, dann heißt das, dass – aus welchen Gründen auch immer – 60 Jahre lang die Hälfte der Norm des Grundgesetzes hinsichtlich des Demokratieprinzips, wie es das Grundgesetz festlegt, vom Souverän faktisch nicht ausgeübt werden kann, weil der bisher einzig handlungsbefugte Verfassungsgesetzgeber, nämlich der Deutsche Bundestag, in seinen bisher 16 Legislaturperioden es unterlassen hat, das Abstimmungsrecht des Volkes in Sachfragen durch ein entsprechendes, zeitgemäß ausgestaltetes Verfassungsrecht und dieses ausführende Regelungen zur Ermöglichung der Volksgesetzgebung verfügbar zu machen.

6. Wer je die damit zusammenhängenden rechtsphilosophischen, verfassungsrechtlichen, demokratiepolitischen wie entwicklungshistorischen Fragen durchdacht und zuende gedacht hat, wird um die fundamentale Bedeutung dieses Erfordernisses für das Wohlergehen des sozialen Organismus wissen oder zumindest eine Grunderkenntnis und auch Grundempfindung davon haben und auch die eingangs erwähnten beklagenswerten Symptome des gegenwärtigen Zustandes der Demokratie in Deutschland besser verstehen – wie ein Arzt auch besser verstehen könnte, wenn er feststellen müsste, dass die eine Herzhälfte bei einem Patienten überhaupt nicht in Funktion und deshalb auch die andere auszufallen drohe – totaler Infarkt; wobei das Beispiel so für den biologischen Organismus gar nicht gemacht werden könnte, weil es da eine halbe Herztätigkeit gar nicht geben kann [weshalb der Vergleich mit dem sozialen Organismus nur als Bildhinweis dienen kann, um auf das für diesen Notwendige aufmerksam zu machen im Hinblick auf das, was das Prinzip der Volkssouveränität schon von der sozialen Dimension der Menschenwürde her gesehen, wie das Bundesverfassungsgericht ganz zurecht feststellte, verlangt und was in Konsequenz dessen beachtet sein muss, damit Verfassung und Verfassungswirklichkeit auch in Einklang stehen.

7. Das alles steht im Hintergrund der Aktion »Gretchenfrage«, welche wir im Zusammenhang mit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag allen Kandidatinnen und Kandidaten gestellt haben damit alle interessierten Wählerinnen und Wähler vor der Wahl erfahren, wie diejenigen, die für den nächsten Bundestag ein Mandat anstreben, entscheiden werden, wenn diesem vonseiten der Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009« eine Petition vorliegen wird, welche einen Vorschlag unterbreitet, wie das plebiszitäre Element des Demokratieprinzips, welches das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 ebenso als unabänderlich auszugestalten verlangt wie das parlamentarische, eine zeitgemäße Rechtsform finden könnte durch dasjenige, was wir die vier unabänderlichen Kriterien der »dreistufigen Volksgesetzgebung« nennen. Wir verweisen Sie, falls Sie es noch nicht studiert haben sollten, auf die Kernpunkte dieses Vorschlages auf www.volksgesetzgebung-jetzt.de/petition-09/kriterien .

8. Dazu nun abschließend noch eine kurze Erläuterung: Wir haben, darauf bezogen, allen, die sich um ein Bundestagsmandat bewerben, die »Gretchenfrage« gestellt, ob sie dann, wenn im 17. Deutschen Bundestag diese Petition insgesamt – siehe www.volksgesetzgebung-jetzt.de/petition-09/hauptteil – zur Verhandlung und Abstimmung stehen wird, sich dafür oder dagegen entscheiden werden, damit die Wählerinnen und Wähler diese Mitteilung am 27. September bei ihrem Votum berücksichtigen können.

9. Wir wissen, weil wir an diesem Projekt schon seit 1984 arbeiten und an den Bundestag in jeder Legislatur manches Mal sogar mehrfach zu dieser Aufgabe appelliert haben, tätig zu werden, dass es für Millionen Wählerinnen und Wähler von mitentscheidender Bedeutung ist, ob sie jetzt vom 17. Bundestag endlich ernsthaft angegangen wird – und zwar auf der Grundlage der Vorschläge der Petition. Denn sie baut als die bisher einzige Konzeption auf der Idee der komplementären Demokratie auf, also auf dem organischen, sich funktional ergänzenden Zusammenwirken von unmittelbarer und repräsentativer Demokratie – nicht in Ausnahmefällen, sondern im ständigen demokratischen Lebensvollzug und berücksichtigt dabei auch die Erfordernisse, die bei der Gestaltung dieses Prozesses in unserer Zeit der überragenden Bedeutung der Massenmedien zu beachten sind, um die freie Urteilsbildung der Bürgerschaft unter dieser Bedingung rechtlich zu garantieren.

10. Wir sind überzeugt, dass nicht nur grundsätzlich ein »Ruck« durch unser Land ginge, wie es Bundespräsident Herzog einmal – erfolglos – ansprach, sondern sogar noch starken Wind in die Segel der letzten Phase des gegenwärtigen Wahlkampfes brächte, wenn Sie als die bisherigen Bundestagsparteien der deutschen Öffentlichkeit mitteilen würden, wie Sie zu dem hier vorgebrachten Anliegen aufgestellt sind: Ja oder Nein [wie auch immer unterschiedlich Ihre bisherigen Auffassungen zu gewissen Schlagworten wie »Volksentscheid« sein mochten, die ja alle samt und sonders nicht das betrafen, wovon hier bei unserem Vorschlag für die »dreistufige Volksgesetzgebung« [mit den vier angedeuteten Kriterien und der Forderung, darüber nicht nur parlamentarisch, sondern auch plebiszitär zu beschließen] die Rede ist.

Wir werden Ihre Antwort selbstverständlich auch auf www.volksgesetzgebung-jetzt.de/newsblog publizieren. Damit dieser Vorgang auch noch rechtzeitig vor dem Wahltermin von den Medien – d. h. von möglichst allen Wählerinnen und Wählern wahrgenommen werden kann, möchten wir Sie bitten, möglichst bald zu antworten.

Besten Dank und mit freundlichen Grüßen

Wilfried Heidt
88147 Achberg, 14. September 2009

[für die Petitionsgemeinschaft »Wir sind das Volk-2009«]

gretchenfrage@volksgesetzgebung-jetzt.de