Klaus Riegert [CDU]

Sehr geehrter Herr Heidt,

vielen Dank für Ihre „Gretchenfrage“.

Die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung und nach einer Stärkung der Elemente direkter Demokratie bezieht auf den ersten Blick ihre Plausibilität aus bestimmten Fehlentwicklungen der dezidiert parteienstaatlichen Ausprägung unserer parlamentarischen Demokratie. Hinzu kommt ein allgemeines Gefühl, dass der Einzelne in unserer staatlichen Ordnung überreglementiert wird und mehr Verantwortung an die Bürger zurückverlagert werden sollte.

Direktdemokratische Formen heben nicht die Unterscheidung von Regierenden und Regierten auf. Direkte Demokratie bedeutet nicht mehr individuelle Freiheit. Sie ist eine besondere Form der Staatswillensbildung, nicht der Rückverlagerung von Verantwortung an die Bürger. Ob staatliche Normierungen den Einzelnen aufgrund eines Parlamentsgesetzes oder als Resultat eines Verfahrens der sog. „Volksgesetzgebung" treffen, bleibt sich für ihn oder sie gleich. Aus der Sicht des Einzelnen ist das von allen Aktivbürgern im Plebiszit gegebene Gesetz genauso einschränkend, wie wenn es von deren Repräsentanten beschlossen wurde. "Wenn ich die Hand der Macht auf meinem Haupte lasten fühle, kümmert es mich persönlich wenig, zu wissen, wer mich unterdrückt; und ich beuge mich nicht deswegen lieber unter das Joch, weil eine Million Arme es mir darbieten" (Alexis de Tocqueville). Das Ergebnis, nämlich der Verlust der Freiheit, bleibt in jedem Fall das selbe.

Und für die"Liberalen" zur Erinnerung: "Der Liberalismus ... sieht die Hauptaufgabe in der Beschränkung der Zwangsgewalt jeder Regierung, sei sie demokratisch oder nicht; der dogmatische Demokrat dagegen kennt nur eine Beschränkung der Staatsgewalt und das ist die Meinung der jeweiligen Majorität" (Friedrich von Hayek).
Das Problem von Kollektiventscheidungen, sofern sie nicht einstimmig sind, liegt darin, dass bei ihnen die überstimmte Minderheit zu etwas gezwungen wird, das ihren Interessen widerspricht. Diese Form der Entscheidungsfindung produziert Gewinner und Verlierer, eine siegreiche Mehrheit und eine besiegte Minderheit. Deshalb sind Kollektiventscheidungen ein moralisch fragwürdiges Herrschaftsinstrument. Der klassische Liberalismus fordert deshalb, den Bereich der Kollektiventscheidungen, das heißt die Politik, möglichst klein zu halten. Je mehr durch Kollektive entschieden wird, desto weniger Entscheidungsspielraum verbleibt dem Individuum. Wo immer möglich, sollen Individualentscheidungen an die Stelle der Kollektiventscheidungen treten. "Je mehr die Domäne der Kollektiventscheidungen wächst, desto mehr schrumpft die Domäne der Individualentscheidungen und damit die Freiheit" (Gerard Radnitzky).

Die richtige Antwort aus der Sicht der Bürgergesellschaft ist darum nicht mehr Partizipation an staatlicher Herrschaft, sondern weniger staatliche Herrschaft und mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Bürger. Wer die Gestaltungsfähigkeit und Initiative der Bürger aktivieren will, muss den schlanken Staat durchsetzen, statt Überreglementierung plebiszitär zu legitimieren.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Riegert

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