Edgar Wunder [Die Linke]

Sehr geehrter Herr Heidt,
ich unterstütze Ihr Anliegen, endlich die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden einzuführen und diese auf eine faire Weise zu regeln. Allen Punkten Ihrer Petition stimme ich zu. Wie Sie wissen, ist dazu - über Ihre Petition hinausgehend - der Beschluss eines konkreten Gesetzes durch den Bundestag notwendig. In der vergangenen Legislaturperiode gab es dazu mehrfach Debatten im Bundestag, zuletzt am 23. April 2009 -- leider ohne jedes konkrete Ergebnis, denn CDU und SPD haben wieder blockiert und alles niedergestimmt. Dazu muss man die Positionen der verschiedenen Parteien zur Einführung von Volksentscheiden kennen: Die CDU ist grundsätzlich dagegen, weil sie nicht will, dass die Bevölkerung mehr Mitbestimmungsrechte erhält. Wer für Volksentscheide ist, darf also auf keinen Fall die CDU wählen, denn diese Partei blockiert seit Jahrzehnten engstirnig deren Einführung. Die SPD redet - wie so oft - auch hier mit gespaltener Zunge: Sie sei zwar "grundsätzlich" für Volksentscheide, wenn es aber ernst wird und es im Bundestag zur Abstimmung kommt, dann stimmt auch die SPD gegen die Einführung von Volksentscheiden (so geschehen am 23.4.2009), um den lieben "Koalitionsfrieden" mit der CDU nicht zu gefährden. Die FDP rühmt sich, einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksentscheiden in den Bundestag eingebracht zu haben. In Wirklichkeit ist dieser FDP-Antrag ein klassischer "Papiertiger": Er sieht extrem hohe Hürden und zahlreiche Klauseln vor. Volksbegehren und Volksentscheide würden dadurch so sehr behindert, dass sie tatsächlich wohl niemals zustande kämen. Das ist natürlich Absicht. Dem Wahlvolk wird vorgegaukelt, die FDP sei für Volksentscheide, doch tatsächlich beantragt sie Gesetze, die Volksentscheide so gut wie unmöglich machen würden. Das ist letztlich Wahlbetrug. Die Grünen haben auch einen Gesetzentwurf eingebracht, der wesentlich bessere Regelungen vorsieht und der die Durchführung von Volksentscheiden auch tatsächlich ermöglichen würde. Das ist lobenswert. Aber auch die Grünen sehen dabei verschiedene fragwürdige Klauseln und Hürden vor, die von Misstrauen gegenüber der Bevölkerung zeugen und Volksbegehren/entscheide unnötig erschweren würden. Jedenfalls sind die Vorschläge der Grünen weit von den z.B. in der Schweiz geltenden - und dort nach langjähriger Praxis bewährten -Regelungen zu Volksbegehren/entscheiden entfernt. Dagegen hat der Verein "Mehr Demokratie e.V." einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der wirklich vorbildlich ist und Volksbegehren und Volksentscheide unter fairen Bedingungen ermöglichen würde. Diesen Gesetzentwurf hat die Linke aufgegriffen und mit weiteren Verbesserungsvorschlägen in den deutschen Bundestag eingebracht. Den Antrag der Linken zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden finden Sie hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/014/1601411.pdf. Keine andere Partei vertritt so konsequent die Einführung von fairen Volksentscheiden und -begehren wie die Linke. Alle anderen Parteien sind hier entweder von vornherein dagehen, heuchlerisch oder halbherzig. Das muss man leider so deutlich sagen. Und das war ein wesentlicher Grund, warum ich mich der Linken angeschlossen habe.

Kommentare

Nachfrage an Edgar Wunder

Hallo Herr Wunder,

in Ergänzung Ihrer Antwort möchte ich doch noch auf die Unterschiede hinweisen, die zwischen unserer Petition und den beiden Gesetzentwürfen von Mehr Demokratie e.V. bzw. der LINKEN bestehen:

1. Der Petitionsentwurf beschränkt sich auf die [unabdingbaren] Kriterien eines Verfassungsge­setzes für die Ermöglichung der dreistufigen Volksgesetzgebung, ist also bewusst kein in alle Details entfalteter Gesetzestext, um für Kompromisse Spielraum offen zu halten.

2. Der Petitionsentwurf verlangt nicht vom Bundestag den Beschluss eines entsprechenden Gesetzes, sondern gemäß GG Art. 20, Abs. 2 – Abstimmungsrecht des Volkes! – eine einfachgesetzliche Rege­lung, damit nicht die Volksvertretung den Kasus "Volksgesetz­gebung" parlamentarisch "abgewickelt", sondern schon über die vier Axiome der Petition in einer Art "Urabstimmung" plebiszitär entschieden werden kann.

3. Die in der Petition geforderte "Medienbedingung" findet in den beiden Gesetzentwürfen von "Mehr Demokratie e.V." und der Linken bisher keine Berücksichtigung. Sie ist aber für die Gestaltung des gesellschaftlichen Diskurses im plebiszitären Prozess in heutiger Zeit von fundamentaler Bedeutung, weil ansonsten für die Urteilsbildung der Bürgerschaft keine demokratischen Bedingungen herrschen würden.

4. Schließlich schlägt die Petition vor, den 9. November künftig als den "Tag der Volkssouveränität" zu begehen und am 9. November 2009, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, mit dem gesellschaftlichen Diskurs über die Ausgestaltung des Abstimmungsrechtes des Volkes zu beginnen, wie es jüngst auch in dem Urteil des Bundsverfassungsgerichtes vom 30. Juni 2009 axiomatisch anklingt.

Nun wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie darauf antworten könnten, wie Sie zu diesen vier Unterschieden Punkten stehen, weil ihre erste Antwort dazu noch nichts enthält und alle vier Punkte auch im Gesetzentwurf der LIN­KEN noch nicht berücksichtigt sind.

Mit besten Grüßen
Wilfried Heidt

Weitere Antwort von Edgar Wunder

Sehr geehrter Herr Heidt,

vielen Dank für Ihre nochmalige Nachfrage zu einigen Aspekten, die ich in
meiner ersten Antwort noch nicht angesprochen hatte. Gerne gehe ich auch
darauf ein.
Soweit ich sehe, bin ich inhaltlich in allen Punkten Ihrer Meinung. Lediglich das formale Vorgehen ist zwangsläufig etwas anders, da Sie keinen konkreten Gesetzentwurf vorgeschlagen haben, ein solcher aber vom Bundestag verabschiedet werden muss, um unser gemeinsames Anliegen von mehr direkter Demokrastie zu erreichen.

Zu Punkt 2: Eine bloße "einfachgesetzliche Regelung" als Ergänzung zu GG Art. 20, Abs. 2, wird von vielen Verfassungsrechtlern als unzulässig angesehen, da im Grundgesetz an dieser Stelle leider der Satz "Das Nähere regelt ein Gesetz" fehlt. Die Mehrheitsmeinung der Juristen ist deshalb, dass hier eine Ergänzung des Grundgesetzes selbst notwendig sei. Wie auch immer man diese juristische Frage beurteilen mag: Eine bloße "einfachgesetzliche Regelung" würde riskieren, sofort wieder beim Bundesverfassungsgericht angefochten und gekippt zu werden. Deshalb ist es sinnvoll, die wichtigsten Bestimmungen zu Volksbegehren und -entscheiden gleich im Grundgesetz selbst zu verankern (was auch auch ihrer hohen Bedeutung gerecht wird). Darauf zielte der Gesetzentwurf der Linken. Ich bin völlig mit Ihnen einer Meinung, dass diese wichtige Grundgesetzänderung dann aber nicht bloß parlamentarisch beschlossen, sondern auch selbst bei einem Volksentscheid zur Abstimmung gestellt werden sollte. Zudem würde ich mir wünschen, dass diese Volksabstimmung nach GG Art. 146 durchgeführt wird ("Dieses Grundgesetz ... verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.".) Denn eine solche Volksabstimmung über die Gesamt-Verfassung - in anderen Ländern eine demokratische Selbstverständlichkeit - hat in Deutschland bislang leider noch nie stattgefunden, ein schwerer demokratischer Legitimationsmangel des Grundgesetzes. Das um direktdemokratische Elemente ergänzte Grundgesetz sollte also - ansonsten unverändert - einem Volksentscheid unterzogen werden, um es zu einer wirklichen Verfassung aufzuwerten. Das wäre aber bereits der zweite Schritt. Im davor notwendigen ersten Schritt muss zunächst der Bundestag eine Grundgesetz-Ergänzung zu GG 20 (2) beschließen, um eine solche Volksabstimmung überhaupt konkret durchführen zu können. Auf diesen ersten Schritt zielt der Gesetzentwurf der Linken. Der zweite kann erst dann folgen.

Zu Punkt 3: Die von Ihnen unter der Bezeichung "Medienbedingung" angeführte Forderung halte ich auch für äußerst wichtig. Wie bei Wahlkämpfen muss auch bei einem Volksentscheid dafür gesorgt werden, dass die verschiedenen Positionen in der Öffentlichkeit gleichberechtigt zu Wort kommen können, insbesondere in den Medien. Das könnte durch die Vergabe von Sendezeiten in den öffentlich-rechtlichen Medien sowie Wahlkampf-Kostenerstattung auch für die Initiatoren eines erfolgreichen Volksbegehrens etc. geregelt werden. Allerdings ist dies m.E. eher etwas für eine die Grundgesetzänderung ergänzende einfachgesetzliche Regelung, nichts für das Grundgesetz selbst (so wie bei Wahlen auch). Regelungen zur "Medienbedingung" gleich mit ins Grundgesetz schreiben zu wollen, würde das Grundgesetz überfrachten und den ganzen Prozess der Ermöglichung von Volksentscheiden durch eine Grundgesetzänderug nur noch weiter verkomplizieren und erschweren. Der Gesetzentwurf der Linken zielt im ersten Schritt nur auf die notwendige Ergänzung des Grundgesetzes, in weiteren Schritten müsste dann sicher auch die "Medienbedingung" in einfachgesetzlichen Regelungen konkret ausgearbeitet und festgeschrieben werden.

Zu Punkt 4: Den in der deutschen Geschichte in vielfacher Hinsicht bedeutenden und mahnenden 9. November als gesetzlichen Feiertag einzuführen ("Tag der Volkssouveränität") - und stattdessen den 3. Oktober abzuschaffen - ist ein für mich sehr sympathischer Vorschlag, den ich begrüße. Dazu ist aber eine Grundgesetz-Änderung weder notwendig noch sinnvoll. Es wäre m.E. auch ein Fehler, die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden an die Einführung eines solchen Feiertags zu koppeln. Denn eine solche Debatte würde alles nur noch komplizierter machen und die schon jetzt so lange verschleppte Einführung von Elementen direkter Demokratie nur noch weiter hinauszögern. Die Ermöglichung von fair geregelten Volksbegehren und Volksbegehren ist m.E. auch weit wichtiger als die Frage, an welchem Tag ein gesetzlicher Feiertag wie begangen werden soll.

Mit besten Grüßen

Edgar Wunder

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