Christa Labouvie [B'90 / Die Grünen]

Lieber Martin Koch,

es hat nun drei Tage gedauert, bis ich meine Antwort fertig hatte. Es ist mein Thema und kann nicht in drei Sätzen erklärt werden..

Ich bin frohen Mutes, dass wir auf einem guten Weg sind, mehr und mehr Menschen wollen sich einbringen, nicht mehr tatenlos zuschauen. Die Gruppe derer wird immer größer und wird sich Bahn brechen, da bin ich von überzeugt.

Also nachfolgend und noch einmal im Anhang meine Antwort.

Viele Grüße

Chris Labouvie

Liebe Streiter und liebe Streiterinnen für die direkte Demokratie,

vor einigen Tagen erhielt ich von Ihnen eine Postkarte mit der "Gretchenfrage". Übrigens eine originelle Idee, Menschen interaktiv mit einzubinden, klasse. Nun auch gerne eine ausführliche Antwort von mir.

Unsere parlamentarische "repräsentative" Demokratie ist vom System her sicherlich wesentlich besser als eine Diktatur z.B., zweifellos. Doch wirklich mitbestimmen, wie es das Grundgesetz durchaus einräumt, konnten und können die Bürger und Bürgerinnen bisher nicht.Meine Unzufriedenheit darüber gipfelte in der Erkenntnis, dass man selber politisch aktiv werden muss. Bürgerbewegungen erzeugen öffentlichen Druck und das beeinflusst auch die Politik, was ungeheuer wichtig ist. Parallel dazu braucht es aber noch Menschen, die politische Verantwortung übernehmen, bzw. sich auf den Weg machen, um mitbestimmen zu können. Dort, wo die politischen Entschlüsse gefasst werden, da müssen auch Leute sitzen, die unsere direktdemokratischen Ziele durchsetzen wollen.

Also, an die Macht gelangen sozusagen, um die Macht dem Volke zurückgeben zu können.

Bei den Grünen fühle ich mich da ganz gut aufgehoben. In meiner Jugend entstand plötzlich diese neue Partei, sie kritisierten das, was mir schon so lange "stank" in der damaligen Politik und auch in der verknöcherten Gesellschaft mit ihren altpreußischen (unterwürfigen und kleinkarierten) Parolen. Um Verwirrung zu vermeiden: ich bin eine ehemalige Westdeutsche ;-) und jetzt mit Herz und Seele Wahlossi! Genieße jeden Tag das wunderschöne Mecklenburg-Vorpommern. Und mag die Menschen, die hier leben.

Nun, den Volksentscheid auf kommunaler und auf Landesebene verdanken wir schließlich auch den Grünen, was lag also für mich näher, als in diese Partei einzutreten? Wobei ich im Laufe der Jahre feststellen musste, dass die Grünen auch noch anders sind, als ich es mir vorstellte damals bei Eintritt im Jahre 2000.

Das sollte aber nie ein Grund sein, zu sagen, nein, das ist (die sind) doch nichts für mich, sondern man kann auch sagen: die Grundrichtung stimmt, mitunter sogar super, wenn ich das mal so sagen darf, und dann muss man halt durch persönliches Engagement die gewünschte Weiterentwicklung respektive Veränderung mit bewirken. Jeder Mensch ist ein Teil des Ganzen, überall und auch in Parteien. Wobei mitunter die hierarchischen Strukturen anderer Parteien undurchdringlicher erscheinen, da unterscheiden sich die Grünen eindeutig.

Damit es in Mecklenburg-Vorpommern so schön bleibt und nicht alles verschandelt wird mussten wir vor drei Jahren eine Bürgerinitiative (BI) ins Leben rufen, aus der eine richtig machtvolle Bewegung wurde. Hunderte Bürger und Bürgerinnen aus der Region lernte ich dadurch näher kennen. Mir wurde eindrucksvoll bestätigt, wovon ich schon immer überzeugt bin: die Menschen sind sehr wohl in der Lage, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen und selbst zu verantworten. Deren Sachkenntnis ist oft viel größer als die der verantworlichen Politiker. Und des Bürgers Denken wird weniger von monetären oder anderen Interessen beeinflusst.

Mir wurde klar: wir brauchen unbedingt die Menschen in der Politik, die unsere Ziele vehement und kraftvoll durchsetzen, aber wir brauchen auch den Druck der Bevölkerung.

Es muss also zweigleisig laufen.

Anfang 2009 gründeten wir mit ca. 20 Mitgliedern eine Wählergemeinschaft, die sich zunächst allein die Umsetzung der direkten Demokratie in Gemeinden auf die Fahne schrieb. Bei einer einfachen Mehrheit in einer Gemeindevertretung kann man ein neues Demokratiemodell mit einer entsprechend verfassten Gemeindehauptsatzung verwirklichen. Mehr Infos gibt es auf: www.buergerbuendnis-ostvorpommern.de. Die Einwohnerversammlung ist höchstes Organ der Gemeinde, so soll es sein. Und wir sind durch die Kommunalwahl im Juni auch einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Es kann passieren, dass noch in diesem Jahr sich in Ostvorpommern in Sachen "kleine direktdemokratische Revolution" etwas tut.

Es bleibt spannend!

Wir haben uns mit der Schweizer Verfassung Anfang des Jahres intensiv befasst und festgestellt, dass es im Prinzip unser System ist, nur weiterentwickelt. Wäre der Wille da, ließe sich es bei uns auch mit 82 Mio. Bürgern und Bürgerinnen relativ einfach umsetzen.

Die Schweizer (7,8 Mio. EW/ ca. 6 Mio. Wahlber. 18 J.) können mit 50.000 Unterschriften (Quorum knapp 1%) eine Gesetzesintiative zur Abstimmung bringen und mit 100.000 Unterschriften (Quorum 1,9 %) kann sie die ganze Regierung zur Abstimmung stellen lassen oder die Verfassung teilweise/komplett ändern bzw. darüber abstimmen.

Die Angst davor, dass sich Minderheiten durchsetzen, ist in der Praxis unbegründet. Eine Angelegenheit zur Abstimmung zu bringen heißt noch lange nicht, dass sie mit der Mehrheit der abgebenen Stimmen gewonnen ist. Obwohl die Bürgerrechte in der Schweiz noch wesentlich umfangreicher sind als das einfache Abstimmungspocedere, welches wir gerade diskutieren, macht es unterm Strich nur 1 % des gesamten politischen Geschehens aus. 99 % der politischen Tagesgeschäfte werden nach wie vor von den Politikern der verschiedenen Parteien abgewickelt. Dennoch sind die Schweizer durch dieses eine Prozent Mitwirkung wesentlich zufriedener mit ihrer Politik als die Deutschen, ist festgestellt..

In allen Kantonen (= Bundesländern) und in allen Gemeinden der Schweiz gelten die gleichen Regeln des dreistufigen Beteiligungsmodells, das ist in der Verfassung der Schweiz festgeschrieben.

Alle Unkenrufe, die besagen, dass das Schweizer System bei uns gar nicht umsetzbar wäre, alles das sind Aussagen von Menschen, die ihre Macht nicht abgeben wollen, konstatiere ich hier persönlich. Die Schweiz hat drei Verwaltungsebenen: Gemeinden (Ämter daneben gibt es auch noch), Kantone, Staat.

Wir haben eine weitere Verwaltungsebene in BRD, eine vierte, die Landkreise. Hätten wir einmal die direktdemokratische Form umgesetzt, so könnten die Landkreise durchaus viel größer sein und manche in Bundesländer quasi aufgehen, eine Verwaltungsebene könnte wegfallen.

Das überschüssige Personal kann neue Aufgaben übernehmen, indem sie die politischen Entwicklungs-prozesse mit den Bürgern moderieren bzw. vorbereiten. Auch die Abstimmungen bedürfen eines gewissen Aufwandes, auch da könnten wir die Schweiz als Vorbild nehmen, die vier feste Termine für das nächste Jahr festlegt. Alle drei Monate stimmen die Schweizer über Fragen in der Gemeinde, im Kanton und im Bund gleichzeitig ab. Das überfordert sie seit 150 Jahren anscheinend nicht, auch mehrere hundert Kandidaten auf den Wahlscheinen für die Nationalversammlung z.B., alle Kandidaten und Kandidatinnen werden immer direkt gewählt, bringen die Schweizer nicht durcheinander.

Wäre der politische Willen vorhanden, könnten wir unser bestehendes System wunderbar dahingehend weiter entwickeln. Von der Zuschauerdemokratie zur Mitmachdemokratie, das ist unser Ziel.

Wie nun das heiß begehrte Ziel erreichen?!

Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass es mit der CDU nicht gehen wird, wahrscheinlich niemals gehen wird. Sie alleine blockiert den Volksentscheid auf Bundesebene seit Jahren, Anträge dazu und zu niedrigeren Quoren von Linken, Grünen und auch der FDP werden stets abgelehnt.

Ergo müssen wir uns fragen, wie wir es, wenn wir es noch miterleben wollen, angehen können.

Da wir nun in einem Fünfparteiensystem angekommen sind, müssen und sollten wir über neue Bündnissse nachdenken. Es geht nur mit einer Mehrheit ohne CDU, denke ich. Das muss die Freiheit wert sein.

Wir brauchen ein Regierungsbündnis, eine Koalition, die bereit ist, diese Weiterentwicklung des Systems auf den Weg zu bringen. Auch über ein so genanntes Konkordanzsystem sollte einmal nachgedacht werden. Das bedeutet, alle Parteien bekommen entsprechend ihren Stimmanteilen Sitze in einer gemeinsamen Regierung, Koalition/Opposition/Politgrößen entfallen (Schweiz).

Im Moment regiert die Wirtschaft die Politik. Sie gibt der Politik Gesetze vor oder zwingt sie, Gesetze so abzuändern, bis sie der Wirtschaft genehm sind. Das kann nur noch geändert werden, wenn die Politik dem Volk Macht gibt, damit das Volk die Politik kontrollieren kann. Und letztlich auch damit die Wirtschaft.

Wir sind das Volk! An einem Strang ziehen! Neue Bündnisse wagen! Gaukler abwählen! Konsequent nur die Politker und Politikerinnen wählen, die bereit sind, das umzusetzen.

Hoffen wir, dass wir am Sonntagabend einen Schritt weiter sind.

In diesem Sinne, liebe Wähler und liebe Wählerinnen, entscheiden Sie weise. Eine Stimme alle vier Jahre für eine Wahl, das ist viel zu wenig.

Die richtige Zeit für Veränderung ist Jetzt!

Herzliche Grüße

und immer eine gute Zeit für Sie

Ihre Christa Labouvie

Ostseebad Karlshagen /Usedom

Kommentare

Eine Nachfrage an Christa Labouvie

Liebe Frau Labouvie,
nun haben Sie uns viele Zeilen geschrieben über vieles, was Sie umtreibt. Interessant und Dank dafür. Aber keine Zeile zu dem, was die "Aktion Gretchenfrage" an Sie herangetragen hat: nämlich eine Petition mit einem konkreten Vorschlag zur Ausgestaltung der "dreistufigen Bürgerschaftsgesetzgebung". Bitte teilen Sie uns doch dazu konkret Ihre Position mit, die wir in allem, was Sie uns erzählen, nicht erkennen könne. Bitte antworten Sie bald.
Mit besten Grüßen
Wilfried Heidt

Eine weitere Antwort von Christa Labouvie

Lieber Herr Heidt,

nun, ich dachte, dies wäre aus meiner Antwort hervorgegangen, dass ich die dreistufige Bürgerschaftsgesetzgebung in vollem Umfang unterstütze.

Meine Vorstellungen von direkter Demokratie beinhalten eben nicht nur das dreistufige Abstimmungsverfahren sonden gehen weit darüber hinaus.

Also noch einmal in aller Deutlichkeit spreche ich mich für Ihr Modell aus und unterstütze es.

Mit freundlichen Grüßen
Chris Labouvie

Liebe Frau Labouvie, leider ...

Liebe Frau Labouvie,
leider, pardon, noch immer nicht geklärt. Denn:
1. Es geht nicht allgemein-abstrakt um die "dreistufige Volksgesetzgebung" - das vertreten, mit oder ohne dem terminus technikus, der in meinem Iinstitut für Zeitgeschichte in manchen Jahren der sozial-, rechts-, politik- und geschichtswissenschaftlichen Forschung in den achtziger Jahren entwickelt wurde, mittlerweile auch andere, im Bundestag inzwischen, davon sicher inspiriert, vier der fünf dort vertretenen Fraktionen -, sondern es geht bei unserem Petitionsprojekt im 8. Anlauf seiner Geschichte seit 1983 konkret um die Frage nach den vier, wie wir meinen unabdingbaren Kriterien, an denen sich eine verfassungsgesetzliche Regelung dieses Prinzips orientieren müsste. Stimmen Sie dem zu?
2. geht es darum, ob Einverständnis vorliegt, dass darüber nicht der Bundestag, sondern ein Volksentscheid beschließen soll.
Beide Forderungen finden Sie auch als Anzeige in Kurzform in der gestern erschienen Nr. 40 der Wochenzeitung DIE ZEIT auf Seite 10.
Auf diese beiden Punkte bezieht sich die "Gretchenfrage". Wir beschränken uns dabei bewusst darauf und packen nicht gleich den ganzen weiteren "Bauchladen", den ein von seinen vielen anderen Sachen überzeugter "Händler" seinen "Kunden" immer gerne oft gleich in toto offerieren möchte, auf den Tisch des Hauses - was übrigens auch im Realhandel ein volkspädagogisch nicht sehr professionelles Verhalten wäre. Es muss für alle möglichen weiteren Rechtszusammenhänge noch der volle Spielraum im Detail bleiben, orietiert am "Unabdingbaren" der Idee der Sache "Volksgesetzgebung".
Insofern würden wir uns freuen, wenn Sie sich die Mühe machen würden, das nochmals zu besinnen und uns über das Ergebnis Bescheid zu geben.
Förderlich könnte in jedem Fall sein, wenn Sie sich nach dem nun gottlob zu Ende gegangenen Wahlkampftheater die Zeit nehmen würden, die weitergehenden Seite unserer Homepage www.volksgesetzgebung-jetzt.de in ihren verschiedenen Abteilungen zu studieren vornehmen würden. Dann erst kann der Diskurs richtig vorbereitet gut geführt werden.
Mit besten Grüßen und Wünschen für Sie
Wilfried Heidt

Lieber Herr Heidt, ...

Lieber Herr Heidt,

Sie haben mich erwischt. Ich werde mir "Die Zeit" kaufen und es in Muße, so sie zu mir kommen mag, studieren.
Letztlich soll das Volk entscheiden, das ist auch meine Ansicht. Wobei es wahrscheinlich immer wieder Händler geben muss, die einen Bauchladen präsentieren, damit die Kunden das Angebot kennenlernen und diese nach Prüfung dann wissen lassen, für welches Produkt sie sich entschieden haben bzw. welche Veränderungen sie noch wünschen.
Also, bis bald, ich werde mich wieder melden, Ihre interessante Art regt mich an und das Thema an sich ist mir wichtig, geradezu höchstes Ziel, fürwahr.
Und wäre es nicht wunderbar, wenn wir eine solche Weiterentwicklung miterleben könnten?!
Gemeinsam wird Energie erzeugt. Je mehr Menschen das Gleiche wollen desto mehr Energie wird dafür erzeugt. Und wahrscheinlich materialisiert es sich ja dann tatsächlich durch diese Energie.
Wenn wir nicht aufhören es zu wollen. Ist doch auch eine schöne Theorie, nicht wahr ;-)?

Ich wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende
mit herzlichen Grüßen
Chris Labovie

Liebe Frau Labouvie, ...

Liebe Frau Labouvie,
mit allem, was Sie schreiben, sprechen Sie mir ganz und gar aus dem Herzen. Ein wirklich schöner Ausklang des deutigen Tages. Zur Illustration füg ich Ihnen noch den "Offenen Brief" bei, den wir an Bischof Zollitisch aus gegebenem Anlass geschickt haben. Wir sind gespannte wie er antworten wird. Ich freue mich, wieder von Ihnen zu hören. Und wenn Sie morgen ein paar ruhige 1/2 Stündchen zum Ein- und Ausatmen, zum Erholen und Entspannen haben sollten: schauen Sie doch mal auf  www.volksgesetzgbung-jetzt.de/petition-09/anhang-2. Das Projekt hat keine schlechten Verbündeten ...
Mit herzlichem Gruß
Wilfried Heidt

Anhang

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