Petition - Anhang 1

Anhang I
Zur Petition »Wir sind das Volk-2009«

»ENDLICH DIE DEMOKRATIE VERWIRKLICHEN«

Die bisherigen Entwicklungen und Argumente,
den im Grundgesetz festgelegten Grund­satz der Volkssouveränität
[Art. 20 Abs. 2] zu verwirklichen bzw. zu umgehen

1. Entstehung und Entwicklung der gegenwärtigen Bestrebungen

1.1 Die Initiative »Wir sind das Volk-2009« – »Endlich die Demokratie verwirklichen« steht in der Kontinuität jener Arbeit, die – ausgehend vom Institut für Zeitgeschichte im Internationalen Kulturzentrum Achberg – 1983 zur Be­gründung der Demokratie-Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland in dem Sinne geführt hat, dass es dabei um das Ziel geht, das Prinzip der Volkssouveränität, wie es das Grundgesetz veranlagt hat, verfassungsrechtlich konkret auszugestalten. Und zwar so auszugestalten, dass die verfügbare parlamentarische Demo­kratie, wie das Grundgesetz sie normiert, zur komplementären Demokratie weiterentwickelt werden, das heißt dadurch das eigentliche Fundament der Demokratie bekommen soll, das bisher fehlte.

1.2 Was ist in der Moderne dieses Fundament? Das Prinzip, dass das Recht – oder wie es im Grundgesetz heißt: »alle Staatsgewalt« – vom Volk ausgeht. Was aber nur dann praktisch verwirklicht ist, wenn zu allen Fragen der Gesetzgebungen aus dem Kreis der mündigen Bürgerschaft 1. Initiativen für entsprechende Regelungen Vorschläge in den Gesetzgebungsprozess einbringen, dazu gegebenenfalls 2. Volksgebehren einleiten und diese eventuell 3. zum Volksentscheid führen können. Das Fundament der Demokratie ist dieses Recht deshalb, weil nur unter der Bedingung von dessen konkreter Verfügbarkeit auch die parlamentarische Form der Demokratie in ihren Entscheidungen legitimiert ist. Es gibt keine Legitimation der politischen Einzelentscheidungen allein durch Wahlen. Wahlen können den Gemeinwillen immer nur pauschal – abstrakt – auf die Gewählten übertragen. Daraus folgt nolens volens unvermeidbar der »vormundschaftliche Staat« [mit allen Konsequenzen, die, wie wir aus Erfahrung zur Genüge wissen, das dann zeitigt. Näheres s. »Zum Verhältnis von Wahl und Abstimmungsrecht«].

1.3 Die 1983 gegründete Bewegung fußt auf dieser Erkenntnis, die sie in dem Begriff der »dreistufigen Volksgesetzgebung« zusammenfasst und in den Grundlinien so entfaltet, wie es in den vier Kriterien der Petition [s. Petition, Hauptteil Ziff. 3.2 ››] kurz dargestellt ist. Die Öffentlichkeitsarbeit für dieses Ziel begann mit einer ganzseitigen Anzeige in der Wochenzeitung DIE ZEIT Nr. 1/1984. Sie war mit einer ersten Petition an den Deutschen Bundestag und einer Unterschriftenkampagne verbunden. Bis zur Befassung des Bundestags mit der Petition am 4. Oktober 1984 waren die ersten ca. 200 000 Zustimmungserklärungen aus der Bevölkerung eingegangen. Doch nicht mal die Fraktion der Grünen stimmte geschlossen für das Anliegen. Alle anderen Fraktionen redeten aus oberflächlichen Denkgewohnheiten und stimmten dagegen.

1.4 Die Öffentlichkeitsarbeit ging weiter. Bis zur zweiten Petition – sie wurde, verbunden mit umfänglichen wissenschaftlichen Begründungen [»Achberger Memorandum«], am 23. Mai 1987 eingereicht – waren einige weitere hunderttausend unterstützende Unterschriften hinzugekommen. Trotzdem lehnte der Bundestag wieder ab. Daraufhin unternahm die Initiative »Volksentscheid zum 23. Mai 1989« den Versuch einer »selbstorganisierten Volksabstimmung« im Blick auf die Ausgestaltung des GG Art. 20 Abs. 2. Obwohl eine repräsentative Infas-Umfrage im Herbst 1986 eine mehrheitliche Zustimmung ge­bracht hatte, blieb die konkrete selbstorganisierte Abstimmungskampagne weit unter den 20 Millionen Be­teiligung, die nötig gewesen wäre, um genügend demokratischen Druck auf die Volksvertretung auszuüben. So ging der 40. Geburtstag der BRD vorüber, ohne dass der Auftrag des Grundgesetzes am besagten Punkt parlamentarisch angepackt worden wäre.

1.5 Dann kam der Herbst 1989 mit der Devise »Wir sind das Volk«. In Zusammenarbeit mit Oppositionsgruppen in der DDR war zu deren 40. Geburtstag seit Sommer 1988 ein Parallelprojekt vorbereitet worden – Stichwort: D‘ 89 - Deutsche Oktober-Revolution –, das am 17. Juni 1989 mit dem »Weimarer Memorandum« von Weimar aus gestartet werden sollte – eine subversive Aktion, die im letzten Moment aber von missgünstigen Parteiplanern »torpediert« wurde und deshalb nicht rechtzeitig in Gang kommen konnte; nicht rechtzeitig meint: leider erst dann auftrat, als die Weichen irreversibel schon nach der vom Westen programmierten Parole »Wir sind ein Volk« bzw. nach dem 9. November definitiv in Richtung Liquidation der DDR und Beitritt ihres Staatsgebietes [nach Artikel 23] zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gestellt waren.

1.6 Das führte schließlich zum Jahr 1994 und hier Ende Juni zu den abschließenden verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus dem deutsch-deutschen Einigungsvertrag. In puncto »dreistufige Volksgesetzgebung« war inzwischen durch zahlreiche Kontakte und Bemühungen »hinter den Kulissen« insofern ein Fortschritt erreicht, als Bündnis 90/Die Grünen, die PDS [heute Die Linke] und auch die SPD in die Beratungen und Schlussabstimmungen über den Vertrag eigene Gesetzesinitiativen zur Aufnahme der »dreistufigen Volksgesetzgebung« in das Grundgesetz eingebracht hatten. Doch die Koalition aus CDU/CSU und FDP lehnte mit ihrer Mehrheit alle diese Eingaben ab – wie zuvor schon alle Petitionen der Demokratie-Bewegung zwischen 1984 und 1994 von den verschiedenen Koalitionen abgelehnt worden waren. Danach gab es im Bundestag keinen Vorgang zu dieser Sache mehr. Weitere Petitionen seitens der BürgerBewegung wurden nicht mal mehr befasst. Als die SPD mit den Grünen koalierte, kam es zwar zu einer konkreten Initiative für ein entsprechendes Verfassungsgesetz, aber nicht zur Zweidrittelmehrheit im Parlament. [Der ganze Weg seit 1983 ist dokumentiert bei www.wirsinddeutschland.org/dokumentation.htm]

1.7 Die mit der kurzen Beschreibung dieser Linie charakterisierte Kontinuität der Arbeit für das Ziel, die dreistufige Bürgerschaftsgesetzgebung zu verwirklichen, umfasst seit Juni 2008 auch auf der Ebene der Europäischen Union ein konkretes Projekt mit der Möglichkeit zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger [siehe www.impuls21.net].

2. Die verfassungsrechtlichen Argumente

2.1 Das verfassungsrechtliche Hauptargument der jahrzehntelangen Ablehnungsfront gegen die Lesart der Initiative, der Art. 20 Abs. 2 verlange aus Gründen der hier festgelegten Norm notwendig zumindest die Regelung des Abstimmungsrechtes des Volkes als Ausdruck seiner demokratischen Souveränität, hatte seine Herkunft durchgängig in dem, was die Zunft der Verfassungsrechtler als die sog. »herrschende Lehre« [h.L.] zu dieser Stelle entwickelt hatte. Sie war der Ansicht, das Abstimmungsrecht sei normativ nur auf den in GG Art. 29 geregelten Fall einer möglichen Neugliederung der Bundesländer bezogen. Hierfür sind a.a.O. »Volksentscheide« in den betroffenen Regionen verbindlich vorgesehen. Damit sei, so die h.L., die Norm des Art. 20 Abs. 2 erfüllt.

2.2 Diese Ansicht beruhte auf dem der Zunft nicht zu vermittelnden Irrtum, dass ja das Abstimmungsrecht des Volkes als Rechtssubjekt die Aktivbürgerschaft des Volkssouveräns insgesamt hat und nicht bloß die Stimmberechtigten einer einzelfallweise betroffenen Region. In der Funktion des Volkssouveräns verlangt daher die Norm im Art. 20 Abs. 2 notwendig die Bereitstellung, d.h. Regelung des Abstimmungsrechtes an sich – und zwar für alle Angelegenheiten der Gesetzgebung, für welche auch der parlamentarische Gesetzgeber zuständig ist. – So die Lesart der Bewegung von Anfang an. Darüber hinaus gibt es keine verfassungsrechtlichen, sondern nur verfassungspolitisch-ideologische Argumente, auf die wir aber hier nicht weiter einzugehen haben. Sie werden in der Debatte über unseren Regelungsvorschlag dann zur Genüge bedacht werden können.

3. Die historischen Argumente

3.1 Sie zählen zu den verfassungspolitischen und sind eine Ansammlung von allerlei subjektiven oder auch vermeintlich objektiven Gründen, warum es speziell vor dem Hintergrund der neueren deutschen Geschichte geradezu fahrlässig sei, das Element der direkten Demokratie zu aktivieren. Diese Argumente waren alle schon bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Erarbeitung des Grundgesetzes 1948/49 im Spiel und wurden dabei insbesondere von dem späteren ersten Bundespräsidenten, dem Historiker Theodor Heuß, ventiliert. Er sprach – damit auf Hitler und die Nationalsozialisten anspielend – vom Plebiszit als von einer »Prämie auf Demagogie«. Damit war die Unterstellung verbunden, Hitler sei plebiszitär ans Ruder gekommen, die Weimarer Republik sei an Volksentscheiden zerbrochen und Hitler habe einige von ihm angesetzte Volksabstimmungen zur Durchsetzung seiner Ziele haushoch gewonnen. Das zu behaupten ist Demagogie, mindestens populistisch!

3.2 Das und manches mehr in dieser Richtung ist Legende oder es hat nichts mit dem demokratischen Prozess zu tun, wie er von der Petition gefordert wird. Kurz nur die Fakten: Hitler wurde als Diktator nicht durch ein Plebiszit, sondern durch Wahlen bzw. durch einen Beschluss der Reichstagsmehrheit installiert [übrigens auch mit der Stimme von Heuß]. Die wenigen Volksbegehren und Volksentscheide in der Zeit der Weimarer Republik waren von nicht mehr Demagogie beeinflusst, als es bei den Wahlen und im Parteileben generell der Fall war. Keiner der zwei Volksentscheide, die stattfanden, hatte ein problematisches Ergebnis. Meist blieben die Initiativen schon beim Volksbegehren stecken, kamen also gar nicht zur Abstimmung. Richtig ist, dass Hitler, wie meist alle Diktaturen – auch die kommunistischen – die Volksabstimmung instrumentalisierten und a. niemals Alternativen beim Entscheid, b. oft nicht mal das Nein und c. auch niemals die freie und gleichberechtigte Diskussion über das Pro und Kontra [als mitentscheidendes Kriterium für den demokratischen Charakter des plebiszitären Prozesses] zuließen. So dass man abschließend sagen muss: Die Weimarer Republik ging nicht an der direkten Demokratie zu Grunde, vielmehr u.a. auch daran, dass die Parteien damals keine Anstrengungen unternahmen, das Institut der Volksgesetzgebung wenigstens so zu kultivieren und für die Aktivierung der Demokratie zu nutzen, wie es die Weimarer Reichsverfassung in Art. 73 in Ergänzung zum Parlamentarismus anbot.

4. Der Schlüsselpunkt: Die Medienbedingung

4.1 Wenn über die direkte Demokratie kontrovers diskutiert wird, ist das bisher meist eine abstrakte Debatte, weil dabei fast nie die konkrete Gestaltung des gesellschaftlichen Prozesses, um den es sich dabei handelt, bedacht wird. Das gilt im wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Diskurs in den Medien nicht minder als für die Erörterungen an den Stammtischen [ein Beispiel für ein solches Palaver war etwa das ZDF-Nachtstudio www.zdf.de/ZDFmediathek/content/606396]. In dieser Runde hatten offenbar weder der Moderator noch seine Talk-Gäste etwas mitbekommen von der seit Jahren vorliegenden umfassenden einschlägigen Arbeit der BürgerBewegung und auch nichts von den im Netz verfügbaren Texten und Dokumenten zum Thema [siehe www.wirsinddeutschland.org und www.impuls21.net].

4.2 Deshalb muss jetzt auch und gerade in Deutschland über das Notwendige konkret gesprochen werden. Daher versucht die Initiative »Wir sind das Volk-2009« aus gegebenen historischen Anlässen wie denen des Herbstes 1989 in einer Art ständiger volkspädagogischer Aufklärungs- und Beteiligungskampagne als erstes zu erreichen: Die Erkenntnis – wie die vier Grundrechnungsarten –, dass die die Petition bestimmenden vier Kriterien unabdingbar sind für die wesensgemäße Gestaltung der dreistufigen direkten BürgerschaftsDemokratie. Und dabei ist im Zeitalter der Dominanz der Massenmedien für die Urteilsbildung der Stimmberechtigten die Medienbedingung der Dreh- und Angelpunkt, von dem der demokratische Charakter des Ganzen abhängen wird [siehe Anhang III Ziff. 2 ››].

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